Die Lebensgeschichte meiner Großeltern

 

Großvater: Konrad Gorol, geboren 26.11.1922 in Babienica (Polen), gestorben 1996 in Psary (Polen)

Großmutter: Leokadia Gorol (geborene Tyrakowska), geboren 15.9.1928 in Boleslawow (Polen), gestorben 24.4.2011 in Psary (Polen)

 

Psary ist eine kleine Gemeinde und liegt in der Nähe der Städte Czestochowa und Katowice in Polen/Oberschlesien. Oberschlesien gehörte ab 1742 zu Preußen und ab 1871 zum deutschen Kaiserreich. Bei der oberschlesischen Volksabstimmung am 20. März 1921 sprachen sich 62 % der Wähler in der Stadt für einen Anschluss an Polen und 38 % für einen Verbleib in Deutschland aus. Somit fiel Oberschlesien nach dem ersten Weltkrieg an Polen.

Mein Großvater wurde als Schlesier 1940 zur Wehrmacht zwangsrekrutiert und später an die Ostfront geschickt (er arbeitete am MG34/42 Maschinengewehr als Munitionsführer). So auch seine beiden Brüder. Franz kam nach Stalingrad und starb dort. Stanislaw überlebte und kehrte 1947 nach Polen zurück, genau wie mein Großvater und zufälligerweise beide im selben Monat, innerhalb von 2–3 Tagen.

 

Die Schlesier waren gespalten, einige waren für die Deutschen, andere dagegen. Mein Großvater wollte nicht im Krieg sterben, als er sah, was vor sich ging. Großvater schaffte es, durch einen Trick aus der Kampffront zu kommen (er schoss sich in den Finger). Zur Untersuchung wurde er nach Krakau geschickt. Dort sagte der behandelte Arzt, dass er für sein Verhalten vor ein Militärgericht kommt. Da der Arzt einen Sohn im gleichen Alter hatte, half er meinem Großvater und schickte ihn nach Westdeutschland, um auf einem Bauernhof sowjetische Kriegsgefangene zu bewachen. Mein Großvater war gut zu ihnen und so halfen sie ihm später, ins UNNRA-Lager zu gelangen, indem sie sagten, dass er Pole sei. Er hatte zuvor seine deutschen Dokumente, Uniform und Ausrüstung unter einem Baum vergraben und nie wieder gefunden, es gibt ein paar Fotos in einer deutschen Uniform, die er nach Hause geschickt hatte. Er war in Lebach und Schramberg im Lager, wo er zum Elektriker ausgebildet wurde. 

 

Meine Großmutter wurde 1941 mit 13 Jahren zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. Sie kam zuerst nach Bamberg auf einen Bauernhof, später dann nach Lebach. Meine Großeltern lernten sich im UNRRA-Lager in Lebach kennen. Dort heirateten sie und kehrten zusammen im Juli 1947 nach Polen zurück. Mein Großvater brachte aus Deutschland nur ein Funkgerät mit, das er von einem Offizier gekauft hatte, das bis heute bei uns ist, zusammen mit einer Kaufbestätigung, die es ihm ermöglichte, mit diesem Funkgerät von Deutschland nach Polen zu reisen. Später hörten sie in diesem Radio den verbotenen Radiosender Radio Free Europe. In Polen arbeitete er bis zu seiner Pensionierung in verschiedenen Unternehmen als Elektriker, er führte ein ruhiges Leben. Anfang der 1950er Jahre begann er mit großen Schwierigkeiten (keine offiziell verfügbaren Baumaterialien) ein Haus zu bauen, in dem meine Familie bis heute lebt. Ein anderer Bruder wohnte nebenan. Sie waren sich nicht einig über Deutschland. Der Bruder meines Großvaters ging 1989 nach Deutschland und blieb dort bis zu seinem Tod, mein Großvater blieb in seiner Heimat. Er hat nie einen Führerschein gemacht. Er besuchte Deutschland mit Großmutter nur einmal im Jahr 1993 und besuchte die Orte, an denen sie sich am Ende des Krieges trafen, einschließlich der Gastgeber, für die sie arbeiteten (die deutsche Besitzerin des Bauernhofes wollte den Hof nach dem Krieg meiner Großmutter geben, aber sie entschied sich, in Polen zu leben). Großvater starb 1996 an Alzheimer, meine Großmutter 2011.

 

Gespräch mit Marcin Keller, 12. Januar 2023

Bilder: Privatarchiv Marcin Keller

Großvater beim Sport vor dem Lager in Lebach (heute Gymnasium). 

Großmutter (ganz rechts) beim Stricken mit Freundinnen vor dem Lager in Lebach.